Lady Gaga: Hierbei handelt es sich ja nicht um eine Künstlerin, sondern um ein sogenanntes Phänomen. Phänomen bedeutet in diesem Zusammenhang offenbar Verursacherin irritierend zusammenhangsloser Klänge. Ihr drittes Studioalbum ‚ARTPOP‘ ist eine Zusammenstellung von fünfzehn sonderbar unfertigen, wirren Songs, die bisweilen verstören, zumeist aber schlicht missraten und wenig erinnerungswürdig sind. Klingt drastisch, ist aber so.
Mal ehrlich: Es fällt mir schwer, negativ über Musik zu schreiben. Doch manchmal kommt man eben nicht darum herum. Beginnen aber möchte ich mit etwas Positivem: Es gibt nämlich tatsächlich einen guten Song auf dem neuen Album. „Dope“ heisst der, findet sich an dreizehnter Stelle und ist eine spartanische Hangover-Ballade, beinahe nur Stimme und Piano. „Dope“ ist grundsolides sentimentales Popkino, Lady Gaga kann ihrer Stimme den verdienten Auslauf gewähren und auch textlich gibt der Song, so simpel das alles auch ist, etwas her.
A propos Text: Im Titelsong heisst es „My ARTPOP could mean anything“. Stimmt aber nicht, denn es geht in fast allen Songs um Sex, meist sehr explizit. Die thematische Beschränktheit allein ist erschreckend. Geradezu hochnotpeinlich wird es, wenn dieses demonstrativ übersexualisierte Gehabe mit Esoterischem kombiniert wird. Achtung:
„Do you wanna see me naked, lover?
Do you wanna peek underneath the cover?
Do you wanna see the girl who lives behind the aura, behind the aura?
Do you wanna touch me, cosmic lover?“
Ernsthaft?! Auch das Akronym GUY (für Girl Under You) im gleichnamigen Song ist fragwürdig. Von „Sexxx Dreams“ will ich gar nicht anfangen. Und von „manicure“, einem weiteren schlechten Euphemismus, auch nicht.
So weit, so gut. Das alles wäre halb so schlimm, lägen diesen farblosen Lyrics wenigstens gute Songs zugrunde. Weit gefehlt: Die musikalische Konzeptlosigkeit, die das Album prägt, ist erschütternd. Zu viele Produzenten verderben den Brei?
Viele Tracks bestehen aus mehr oder weniger zusammenhangslosen Abschnitten, die beliebig aneinandergereiht scheinen, selten so richtig ineinander greifen wollen. Manchmal gibt es dazu immerhin solide Beats, so dass man sich mit der Ausrede „Funktioniert im Club!“ behelfen kann.
„Die Welt“ formulierte ein frühes ARTPOP-Review (zur Berlin-Performance) als Nachruf. Man muss dem Recht geben, denn tatsächlich entzaubert sich die einstmals starke Popkünstlerin, Stilikone, ‚Madonna des 21. Jahrhunderts‘ usw. usf. mit diesem grausigen neuen Set selbst. Wer zu dieser Musik – Achtung, Anspielung! – sein Poker Face wahren kann und nicht Opfer schmerzverzerrter Grimassen wird, ist wirklich stark.
Ich bin gespannt auf weitere Meinungen, Rezensionen, Kommentare, Verwünschungen und Girlieteenager-Lobeshymnen zu diesem Album.
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